Lebensanfangskrisen

Durch eine Diskussion im heutigen Pädagogik-Seminar, in der es darum ging, ob Schule zu Autonomie erziehen sollte oder nicht und ob sie es denn tut oder nicht, bin ich auf die Frage gestoßen, wie gut Schule denn überhaupt auf die heutige Gesellschaft an sich vorbereitet.

Es werden noch immer uralte Methoden angewandt (also zu meiner Zeit waren die tollen, sinnvollen Methoden, die ich im Studium vorgestellt bekam, wirklich eine Ausnahme sondersgleichen, ja gar eine exotische Spielerei), es gibt noch immer Lehrer, die im Stile der harten 50er Unterrichten (dazu empfehle ich ganz dringend die wundervolle Doku zum Experiment „Die harte Schule der 50er Jahre„) und der Unterrichtsstoff hat sich auch nicht viel geändert. Naja, bis auf die Gymnasiallehrpläne außerhalb Thüringens, in denen Stoff aus 9 Jahren einfach nur in 8 Jahre gepackt wurde, ohne sinnvoll zu differenzieren, was man rausnehmen könnte und was man doch eher braucht.

Apropos wirklich braucht. Im Prinzip finde ich es toll, dass man so eine weite Spanne an unterrichteten Fächern hat und auch, dass man manche Dinge vertieft. Aber muss es denn wirklich unbedingt sein, dass ich mich durch 3 Jahre Physik und Chemie quäle, wenn ich schon im ersten Jahr gemerkt habe, dass das nix für mich ist und mir dadurch wichtige (und vor allem viel) Zeit für andere Dinge verloren geht? Ich würde mir wünschen, dass Schüler wählen können, welche Fächer sie gerne machen möchten – und zwar schon eher als erst in der 11. Klasse. *

Aber mal vom Fächerunterricht ab drehte sich zu Schulzeiten doch wirklich ausnahmslos ALLES nur um Schule, Disziplin und Noten, die am Ende eh kein Schwein mehr interessieren. Uns wurde nie gezeigt, was es in den verschiedenen Fächern beispielsweise für Berufe gibt. Oder was es außer den Schulfächern sonst noch gibt. Wir hatten ja nicht einmal einen vernünftigen Berufsberater. Ja, wir hatten einen, aber beim Vortrag vor den Klassen hat er nur allgemeinen Kram runtergebetet (habt gute Noten, achtet auf eure Skills, schreibt schöne Bewerbungen) und in den Einzelgesprächen hat er ausnahmslos allen geraten, sie sollen Lehrer werden. Natürlich war das ein Einzelfall von einem Vollhonk, aber wenn ich bedenke, dass das der EINZIGE Versuch unserer Schule war, uns auf das wirkliche, echte Berufs- und Ausbildungsleben vorzubereiten, kommen mir doch die Tränen.

Davon, dass es Soziologie gibt, eine ganze Wissenschaft voll mit Fragen, die ich mir schon frühzeitig gestellt habe, erfuhr ich erst Jahre nach meinem Schulaustritt. Hätte ich damals schlicht und ergreifend gewusst, was für tolle Berufe es so gibt, wäre ich heute definitiv ganz woanders. Vielleicht hätte ich dann nicht einmal Soziologie studiert, sondern etwas anderes von den Dingen gemacht, die mich interessieren, wer weiß? Oder ich hätte eine (gehobene) Lehre gemacht? Jaja, hätte hätte Fahrradkette, ich weiß.

Was ich damit sagen will: Ich habe mich durch Schule nicht einen Deut auf das „Leben danach“ vorbereitet gefühlt. Wir wurden aus dem Nest geschmissen und mussten sehen, wie wir zurecht kommen. Der eine oder andere meiner ehemaligen Klassenkameraden kommt (noch immer) erst gar nicht zurecht, ein paar wenige wussten gleich, was sie machen möchten und der Großteil ist genauso umhergeirrt wie ich.

Und genau das ist doch auch der Grund, warum so viele Schulabgänger auch noch Jahre nach der Schule erstmal in mindestens eine Krise geraten. Es ist toll, die Freiheit zu haben, machen zu können, was man will. Aber es ist auch furchtbar, diese Freiheit zu haben. „Die Qual der Wahl“ ist dann nämlich nicht nur ein dahergesagter Spruch, sondern bittere Realität. Es wurde von mir verlangt, dass ich automatisch schon vor dem Abitur (->Bewerbungsfristen) [mit 17!!!] einen Plan habe, was ich mit meinem restlichen Leben anfangen soll. Jeder verlangt es von einem. Hast du für danach keine Lehre oder ein Studium, bist du niemand. (Übrigens gibt es auch eine risengroße Zahl an komplett sinnlosen Lehren, die man als Schüler leider nicht als solche erkennt.) Ich habe mich gefühlt wie Scheiße, als ich nicht direkt im Anschluss eine Lehre oder einen Studienplatz hatte. Man fühlt sich als totaler Versager und wird noch mehr verunsichert, als man es ohnehin schon ist. Aus diesem Druck heraus sucht man sich das Erstbeste (so ging es jedenfalls mir) und fängt das an, um es wieder abzubrechen und doch was anderes zu machen. Nach 10 Monaten Praktikum, einer nach 2 Monaten abgebrochenen Lehre, einem 2-semestrigen „Schnupperstudium“ und einer (abgeschlossenen) Lehre bin ich endlich einmal in MEINEM Fach angekommen. Das hätte ich so viel einfacher haben können! Ich hätte dazu Hilfe gebraucht, aber noch nicht einmal viel. Man kann doch nicht erwarten, dass jeder selbständig auf den für ihn richtig erscheinenden Weg gelangt. Ansonsten haben wir doch wieder diese Schichten-Kiste. Ich komme nunmal aus einer Arbeiterfamilie, in der keiner einen Plan davon hatte, was ich so studieren könnte. Ich schäme mich dafür nicht. Warum auch? Aber hätte man das nicht ausgleichen können? Zumal ich doch da nicht die Einzige bin. Was meint ihr denn sonst, warum es „Arbeiterkinder“ so viel schwerer haben? Sie müssen sich ganz alleine durchschlagen! Sie haben oft niemanden, an den sie sich wenden oder nach dem sie sich richten können.Es fehlt vielleicht ganz einfach an Betreuung nach der Schule.

Insofern komme ich in der Frage, wie sehr Schule auf das Leben danach vorbereitet, zu dem Punkt, dass es für mich jedenfalls kaum merklich geschieht. Ich habe Wissen gesammelt, das ich zu 80% sowieso wieder verliere, weil ich es nicht anwede, wurde in der Schule sozialisiert (klar), aber sonst bin ich der Überzeugung, dass ich leider fürs Leben an sich nicht viel mitnehmen konnte. Insofern wundert es mich auch nicht, dass so viele junge Menschen kriseln. Der gesellschaftliche Druck ist enorm, die Auswahl ebenso aber die wirklichen Perspektiven mau. Man möchte ja bitteschön auch was lernen, das einem später einen für immer sicheren Job verschafft und ein hohes Einkommen garantiert. Aber wo hat man das schon noch?

___________

* (Kleiner Exkurs zur Thüringer Oberstufe: Bis zur 10. Klasse hat man alle Fächer, das waren am Ende 13 oder so. Danach kann man verschiedene Fächer abwählen, muss aber darauf achten, dass man noch mindestens 1 Fach aus jeder Richtung [Naturwissenschaften, Sprache, Kunst/Musik, Gesellschaftswissenschaften] hat. Beispiel:
1. Hauptfach (HF) war bei uns Mathe oder Deutsch und das was davon nicht HF war, wurde automatisch zum Nebenfach (NF).
2. HF konnte man auswählen aus den oben genannten Bereichen; bei uns gab es Englisch, Kunst, Physik, Biologie, Geographie, Geschichte…
Dann kamen die ganzen Nebenfächer. Außer Deutsch bzw. Mathe war eine weitere Naturwissenschaft, eine Fremdsprache, Geschichte, Kunst bzw. Musik und Wirtschaft oder Sozialkunde verpflichtend. Ich war zudem privilegiert, denn durch meine Bühnenerfahrung in einer Laienschauspielgruppe durfte ich am Kurs „Darstellendes Gestalten“ teilnehmen. Insgesamt gab es glaube ich 8 Nebenfächer.)

Der verschwommene Weg in die Zukunft
Der verschwommene Weg in die Zukunft.
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2 Kommentare zu „Lebensanfangskrisen

  1. Du sprichst mir aus dem Herzen, anderes Land, ähnliche Probleme! Leider! Wenn ich etwas bereue in meinem Leben dann nicht studiert zu haben! Aber es ist ja noch nicht aller Tage Ende!

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  2. Kennst du das Buch „Verdummt nochmal“? Passt irgendwie zu deinen ganzen Gedanken – es beschreibt, welche Aufgabe die Schule hat bzw. wahrnimmt. Erschreckend. Vielleicht in manchen Punkten sehr spitz formuliert und manches ist „bei uns“ (noch) nicht so schlimm wie in den USA – aber im Endeffekt fürchte ich, hat der Autor recht.
    Liebe Grüße. maria

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