Ich habe vor Ewigkeiten schon einmal ein Märchen geteilt. Und da ich keine Zeit für was Eigenes habe Märchen sehr gern mag und sie immer auch eine Lektion beinhalten, hier ein Märchen für euch.
Vom Meisterschützen Muhammad
Eine alte Frau hatte einen Sohn, einen langen Bengel, und der hieß der Meisterschütze Muhammäd. Er war ein richtiger Faulpelz und Taugenichts, und die arme Mutter mußte vom frühen Morgen bis zum späten Abend auf den Beinen sein, für die Leute waschen und umhergehen und betteln, nur um Essen und Kleider für ihn zu schaffen. Den Namen »Meisterschütze« hatte er mitsamt einem zerbrochenen Bogen und den dazugehörigen Pfeilen von seinem verstorbenen Großvater geerbt.
Eines Tages, als die alte Frau ausgegangen war, um fürs tägliche Brot zu arbeiten, stand Muhammäd von seinem Lager auf und suchte in allen Winkeln herum, bis er in einer Schachtel seiner Mutter einen Qran fand, den die arme Alte als einen Notgroschen zur Seite gelegt hatte. Den nahm er. Und für die hundert Dinare kaufte er sich Dattelsirup, den er mit nach Hause nahm. Faul, wie er war, schlief er ein. Als er erwachte, sah er, wie sich Tausende von Fliegen um den Sirupnapf versammelt hatten. Er schlug mit der Hand nach ihnen und zerquetschte einige, die anderen flogen fort. Das, meinte er, war aber eine große Heldentat. Darum stand er auf, nahm seinen zerbrochenen Bogen und ging damit zu einem Lehrer, der auf der Straße saß und Schule hielt. »Herr Lehrer«, sagte er, »nimm diese zehn Schahi und schreibe mit genauer und deutlicher Schrift hier auf den Bogen folgende Worte:
Vieltausend besiegt’ er und schlug er im Streite,
Vieltausend suchten, ihn fliehend, das Weite.«
Der Lehrer schrieb diese Worte auf den Bogen und gab ihn ihm wieder zurück. Nun meinte Mohammäd, seit er die Fliegen getötet hatte, dass er ein gewaltiger Krieger sei. Er nahm seinen Bogen auf den Rücken und verließ die Stadt in der Absicht, an einen anderen Ort zu ziehen und sich für einen Kriegsmann auszugeben, obgleich er in Wirklichkeit so schwach war, dass er, wenn man ihm einen Stoß gab, gleich einen Purzelbaum schlug und mit der Nase am Boden lag. Aber nichtsdestoweniger wanderte er also los. Nach einigen Tagen Wanderschaft machte er halt an einem Haus und ging hinein. Da drinnen lagen allerlei Kriegswaffen, aber es war nirgends ein Mensch zu sehen. Dagegen lockte ihn ein lieblicher Geruch von Speisen in die Küche. Und hier stand ein Topf über dem Feuer, der für mehr als hundert Personen Essen enthielt. »In diesem Haus«, dachte er bei sich, »müssen entweder die Diwe oder die Päri wohnen. Aber gleichviel, wer hier auch wohnen mag, so bin ich jedenfalls hungrig und müde. Nun esse ich von diesem Essen, und dann lege ich mich schlafen, und dann mag es irgendwo über seinem Kopfe auf und schlief ein.
Zwei Meilen von diesem Ort entfernt lag eine Stadt. Der König, der dort herrschte, hatte vierzig Krieger, die dieses Haus zu ihrem Aufenthalt benutzten. Am Tage gingen sie aus und vergnügten sich auf der Jagd, und am Abend kehrten sie in ihr Haus zurück. Auch an diesem Tage kamen die Krieger so gegen Nachmittag von der Jagd zurück und sahen, dass da ein Mann von beträchtlicher Länge lag, der es sich bequem gemacht hatte und schlief. Über seinem Haupte hing ein Bogen, worauf geschrieben stand:
Vieltausend besiegt’ er und schlug er im Streite,
Vieltausend suchten, ihn fliehend, das Weite.
Die Krieger glaubten nun, sie hätten es mit einem Kriegsmann zu tun, der alle diese Heldentaten ausgeführt habe, und dass er, als ein in seiner eigenen Stadt berühmter Mann, sich nun auf der Reise nach anderen Städten befinde. Sie berieten sich und sagten: »Das beste ist, wir behandeln ihn freundlich, und wenn er will, stellen wir ihn dem König vor, so dass er zusammen mit uns hier wohnen kann.«
Als Muhammäd erwachte, sah er sich von vierzig kräftigen Männern umgeben. Er wurde so bange, dass ihm die Galle zu Wasser wurde, und er konnte kein Sterbenswörtchen hervorbringen. Die Krieger legten sein Schweigen als ein Zeichen seines Obermutes und seiner Unbekümmertheit aus und sprachen ihn mit großer Freundlichkeit an: »Bruder, sei uns willkommen, da du uns die Ehre deines Besuches gemacht hast. Betrachte uns als deine Brüder. Wir sind Krieger wie du, und wir hoffen, dass es dir in unserer Mitte gefallen wird.«
Als Muhammäd diese zuvorkommenden Worte hörte, fing er langsam an, ein wenig Mut zu fassen. Ihm ging ein Licht auf, dass die Inschrift auf seinem Bogen diese Wirkung gehabt hatte, und nun fing er an, drauflos zu schwatzen und zu prahlen, wie er die und die Schlacht gewonnen und wie er den und den wilden Löwen getötet hätte. Nachdem sie des langen und breiten geredet hatten, aßen sie miteinander zu Abend und legten sich schlafen.
Am nächsten Tag sagten sie zu Muhammäd: »Komm, wir wollen miteinander auf die Jagd gehen.« Er erwiderte: »Ich bin noch müde von der Reise und will mich lieber heute noch ein wenig erholen, während ihr auf die Jagd geht, und Weidmannsheil auch!«
Inzwischen hatte der König einen Krieg auf den Hals bekommen. Er gab Befehl, die Krieger zu sammeln, und schickte einen Reiter aus, um sie zu holen. Der Reiter kam und fand einen fremden Mann in ihrer Wohnung. »Wo sind die Krieger?« fragte er. »Der Sultan ist in einen Krieg verwickelt worden und hat mir befohlen, sie zu holen.« – »Sie sind auf die Jagd gegangen«, entgegnete Muhammäd, »bei Sonnenuntergang werden sie wohl zurückkommen.« Der Reiter band sein Pferd an und setzte sich hin, um zu warten. Als er so dasaß, entdeckte er Muhammäds Bogen und las die Inschrift darauf, und da dachte er bei sich: »Das ist gerade der richtige Mann, den wir haben müssen, um die Feinde des Königs zu schlagen.« Die Türe der Zwiesprache war bald geöffnet, und Muhammäd fing wieder mit seiner Prahlerei an, ohne zu bedenken, dass ihm dabei der Schwanz in die Klemme geriet.
Als nun die Krieger von der Jagd zurückkamen, trug ihnen der Reiter die Botschaft des Königs vor. Sie beugten alle in demütigem Gehorsam den Kopf und versprachen, am folgenden Tage aufzubrechen, und dann stellten sie Muhammäd dem Reiter vor und sagten: »Er ist ein Kriegsmann, desgleichen die Welt noch nicht gesehen hat. Wenn er sich auf dem Kampfplatz zeigt, wird er im Handumdrehen die feindlichen Scharen zersplittern.« Der arme Tropf hörte diese Lobrede mit an und wusste nicht, was er sagen sollte. Unwillkürlich nickte er mit ,Im Kopfe, so dass sie alle glaubten, das hier wäre so recht was für ihn. Aber Muhammäd dachte bei sich: »Wie habe ich Mich doch mal richtig dumm benommen! Jetzt wird der elende Spruch, den ich mir auf den Bogen gesetzt habe, zu meinem Sargnagel. Wie soll ich nach dem Leben, das ich bisher geführt habe, morgen auf den Rücken eines Pferdes kommen?«
In dieser Nacht konnte Muhammäd überhaupt nicht schlafen. Am nächsten Tage, als es Zeit zum Aufbruch war, führte man ihm ein kräftiges und feuriges Ross vor. Aber schau, er fand trotzdem einen Ausweg. Er sagte zu den anderen: »Wenn ich mit meinem Bogen schießen soll, muss ich ja beide Hände brauchen, und dann könnte ich leicht im Kampfgetümmel die Herrschaft über mein Pferd verlieren. Nehmt darum lieber einen leinenen Gürtel und bindet mich auf dem Pferde fest.«Diese Rede kam den Kriegsmännern etwas wunderlich vor, sie glaubten aber, solche Dinge gehörten zu der höheren Kriegskunst, wie sie in seinem Lande Brauch war. Sie banden ihn also mit einem leinenen Gürtel auf dem Pferde fest, und dann zogen sie alle miteinander zum Kampfplatz hinaus. Muhammäd war nicht imstande, sein Pferd zu lenken, und wurde im Getümmel und Durcheinander des Reiterkampfes bald auf die eine und bald auf die andere Seite getrieben und galoppierte zuletzt geradewegs ins feindliche Lager. Alle bewunderten seinen unbändigen Mut, wie er sich ganz allein mitten ins Herz des feindlichen Heeres stürzte. Das Ross sprengte mit Muhammäd dahin, der vor lauter Angst einer Ohnmacht nahe war, und kam im Laufen an einem Baum vorbei. Muhammäd schlug in Angst und Beben die Arme um den Baum und hielt sich mit einer solchen Kraft daran fest, dass er ihn mit der Wurzel ausriss, und so ritt er weiter, ohne den Baum loszulassen. Als die Feinde sahen, dass ein Reiter mit einem ganzen Baum im Arm auf sie zukam, ergriffen sie vor Entsetzen die Flucht, und die anderen errangen den Sieg.
Der König war selbst Zeuge von Muhammäds Tapferkeit gewesen. Er ließ ihn vor sich rufen und lobte ihn sehr, schenkte ihm ein Ehrengewand und befahl, dass er eine Wohnung auf dem königlichen Schloss beziehen sollte. Aber Muhammäd dachte im stillen: »Ein Glück, dass der Baum von selber mitsamt der Wurzel und allem drum und dran losging, denn ich kann ja nicht einmal den kleinsten Strauch aus der Erde ziehen!«
Als so einige Zeit verstrichen war, kam eines Tages der Vezier zum König herein und sagte: »Die Stadtwache meldet, dass der Löwe auf dem Wege zu uns ist, um sich die Beute, auf die er unserer Übereinkunft gemäß ein Anrecht hat, zu holen.« Da wurde der König sehr betrübt. Er wusste nicht, wen von seinen unglücklichen Untergebenen er greifen und dem Löwen zum Fraß vorwerfen sollte. Die Sache verhielt sich nämlich so: In der Nähe der Stadt hauste ein Löwe im Walde, und er raubte alle die Tiere und Menschen, deren er nur habhaft werden konnte, und brachte das Volk in große Not und Bedrängnis. Darum hatte man mit dem Löwen die Übereinkunft getroffen, dass er mit seinen Überfällen aufhören sollte, wofür man ihm jeden Tag ein Schaf und einmal im Jahre ein vierzehnjähriges Mädchen geben würde. Dieser Pakt war nun schon seit vielen Jahren in Kraft, und noch hatte es keiner gewagt, den Löwen zu töten.
Als der König nun ein wenig über die Sache gegrübelt hatte, schickte er einen Boten zu Muhammäd. Dieser erschien, und der König erklärte ihm, wie die Dinge standen, und sagte: »Wenn du den Löwen tötest, sollst du mein Schwiegersohn werden.« Muhammäd, der vor Schrecken zitterte, sobald er nur ein Pferd sah, geriet außer sich, als er das Wort Löwe hörte. Was sollte er doch dem König erwidern? Er überlegte hin und her und sagte dann schließlich: »Nun ja, dann laßt mich mal sehn, wo der Löwe denn sein Wesen treibt.« Er dachte im stillen, dass er sicher eine Gelegenheit fände, sich aus dem Staube zu machen. Die Leute führten ihn in den Wald und riefen: »Da ist der Löwe.« Und dann liefen sie fort. Muhammäd blieb stehen. Der Löwe, der den Geruch eines Menschen witterte, stieß ein rasendes Gebrüll aus. Muhammäd floh entsetzt davon und kletterte auf einen Baum, der in der Nähe stand. Da brüllte der Löwe aufs neue und stellte sich unter den Baum. Als Muhammäd das schreckliche Tier gerade unter sich erblickte, zitterte er an allen Gliedern, so dass er sich nicht länger festhalten konnte, sondern vom Baum herabfiel, und gerade auf den Rücken des Löwen. Und wie er so quer auf der Bestie saß, zog er unwillkürlich den Löwen an den Ohren und lenkte ihn der Stadt zu. Der König stand mit seinen Hofleuten da und erwartete den Ausgang des Kampfes, und da sahen sie auf einmal, wie Muhammäd auf dem Löwen geritten kam. Da stieß die versammelte Menge laute Freudenrufe aus. Der König befahl seinen Axtkämpfern, dem Löwen das Haupt abzuschlagen, und als dies geschehen war, gab er Muhammäd seine Tochter zur Frau, und sie feierten die Hochzeit in eitel Fest und Freude.