Ich bin leider nicht dazu gekommen, eher weiter zu machen. Ich fahre einfach mal fort.
Tag 9: Was waren die wichtigsten Ereignisse in deinem Leben?
Ich glaube, dass es zwar wichtige Ereignisse im Leben gibt. Aber wichtiger ist ja eigentlich die Zeit danach, in der man mit den Ereignissen umgeht, oder?
Jedenfalls empfinde ich es für mich so.
Solche Ereignisse waren oft tragisch, manchmal neutral und gelegentlich fröhlich.
Der Umzug von der Stadt aufs Dorf, als ich 14 oder 15 war, war schon ein großes Ereignis. Ich habe es gehasst. Mit 15 will man als Stadtkind nicht im Dorf rumgammeln, aus dem alle 2 Stunden mal der Bus Richtung Heimatstadt fährt und der späteste Rückbus schon 18.30 Uhr. Ich habe es meinen Eltern immer übel genommen. Klar, die Gegend ist schön und durch die Wälder zu streifen, die Natur zu erfahren und so, das war schon schön und mache ich auch heute noch gerne. Aber sonst war es oft einfach nur öde. Die neue Schule war auch kacke.
Was zum nächsten wichtigen Ereignis führt. Auf meiner alten Schule war ich beliebt, war sogar Klassensprecherin und bekannt über die Begrenzung der Klassen hinaus. Es war einfach schön, ich fühlte mich geborgen und gemocht. Wir waren alle ähnlich; auch etwa im Einkommen unserer Eltern, denn gut verdienende Eltern waren die Ausnahme und die Kinder solcher Eltern gaben auch nicht damit an. In der neuen Schule lief das ganz anders. Mal abgesehen davon, dass ich eins der wenigen Kinder war, dessen Eltern nicht jeden Mist hinterherwarfen, den ich ach so sehnlichst wünschte, war die Struktur einfach völlig anders. Viele kamen aus den umliegenden Dörfern und waren ganz anders als ich aufgewachsen. Und ja, es stimmt, in den Dörfern hat man viele Rechte. Das bekam ich in der 10. Klasse zu spüren, in der ich auch massiv gemobbt wurde. Es war die Hölle. Und neben den Schülern gab es auch einige arschige Lehrer, die mitmachten oder es duldeten, was ich da täglich erleben musste. Die Klassen 11 und 12 wurden besser, denn da kam ich mit anderen Schülern und Lehrern in Kontakt, es ging gesitteter zu. Aber dieses eine Schuljahr hat in mir wirklich viel verändert.
Nach dem Abitur gab es eine weitere wichtige Phase. Zunächst wurde ich in so ziemlich allem abgelehnt, allerdings auch nur, weil ich gar nicht wusste, wie man sich bewirbt, wo man sich bewirbt und Hilfe dazu hatte ich auch keine. Internet hatten wir keins. (Hölle!)
Ich fing gerade eine Lehre an, die ich heute in keinem Lebenslauf mehr erwähne: als Reiseverkehrskauffrau. In einem Badehaus. Wo ich Schlüssel für Spinde verteilte und vor lauter langeweile selber lernte, wie man Rechnungen schreibt, Steuern berechnet etc. Im Nachrückverfahren bekam ich einen Studienplatz an der Uni in Jena – und sagte sofort zu. Der Umzug war traurig (Mutti verlassen) und wundervoll (Großstadt! Stadtleben!) zugleich. Ich studierte 2 Semester Lehramt auf Deutsch und Englisch, bis ich einfach nur demotiviert war, weil man für ein Englischstudium mehr braucht, als nur sehr gute Noten im Leistungskurs im Abitur zu haben.
Um nicht nix zu haben, machte ich eine Lehre als Sozialassistentin. Die mir heute auf die Füße fällt, da ich keine Berufsausbildungsbeihilfe mehr bekomme.
In der Zeit begann die schlimmste Krise meines bisherigen Lebens. Mein Opa starb. Der Mann, der für mich Vaterfigur, Berater und engster Vertrauter war. Meine Welt stürzte ein, mein Leben verlor für mich an Bedeutung. Ich habe sehr lange gebraucht, um wieder aufzustehen und in die Zukunft zu sehen. Und ja, Hilfe brauchte ich dafür auch. Heute stehe ich wieder aufrecht, aber trage ihn weiterhin im Herzen.
Noch während meiner Genesung ging es meiner Familie nicht gut. Klar, der Tod meines Opas brachte jeden aus dem Gleis. Aber es kursierten auch viele schlimme Krankheiten, die jederzeit einen weiteren Verlust hätten bedeuten können. Es war grausam. Aber wir haben es geschafft. Als Familie.
Und das jüngste wichtige Ereignis, das Durchfallen in der Statistik II Prüfung, das Ende meines Traumstudiums und die Suche nach einem neuen Weg, das habt ihr ja mitbekommen und das läuft ja weiter.
Um aber das Positive nicht unerwähnt zu lassen: Auf meinen Wegen, so schwer, so lang, so verworren sie waren, hatte ich immer meine Freunde. Sie gaben mir Halt, wenn ich drohte zu stürzen. Sie machten mir Mut, wenn ich keinen mehr aufbringen konnte. Sie zeigten mir, dass es immer weiter geht. Ich darf großartige Menschen zu meinen engsten Freunden zählen, wofür ich mehr als dankbar bin.