Projekt #Yolocaust

Vorige Woche stolperte ich über ein Projekt namens Yolocaust von Shahak Shapira. Dieses Projekt schlug im Internet einige Wellen und polarisierte – die Besucher seiner Seite, die Shapira mittlerweile von den Bildern befreite und mit einer persönlichen Zusammenfassung sowie (teils sehr sehr dummen bis widerlichen, aber auch berührenden und schönen) Reaktionen bestückte, zeigten sich entweder empört oder begeistert.

Bei mir lösten die Bilder nicht nur Unbehagen aus, nein ich ekelte mich. Ich ekelte mich weniger, dass Menschen auf den Steinen der Gedenkstätte tanzten, Yoga machten oder aßen – das war manchmal unangebracht, aber noch an der Grenze des Vertretbaren. Ich ekelte mich vielmehr darüber, dass jene (zugegeben öffentlichen) Bilder von jungen Leuten genommen und über Originalbilder aus den Konzentrationslagern gelegt wurden.

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Quelle: http://www.ufunk.net/en/photos/yolocaust-shahak-shapira/ – Dort finden sich mehr Bilder des Projekts.

Klar kann man sich aufregen, dass sich in jenen Bildern jemand respektlos verhalten hat. Dass sie das dann auch noch öffentlich posteten und es nicht nur ihren Freunden, sondern der ganzen Internetwelt zeigten. Und ja, manche Bilder waren geschmacklos, andere einfach nur kindisch und albern – und eines davon, beziehungsweise die Bildunterschrift „Jumping on dead jews“ („Ich springe auf toten Juden“) – hat auch mich empört. Der Poster jenes Bildes hat sich inzwischen aber bei Shapira mit einer Email gemeldet und bereut seine unbedachte Handlung.

Ich wusste lange nicht, was ich von dem Projekt halten sollte. Meine erste Reaktion – Ekel und Abstoßung – wandelten sich bald in Nachdenken. Schon allein deshalb finde ich es doch wieder gut.

Ich dachte darüber nach, was Gedenkstätten eigentlich sind und welche Funktion sie erfüllen, wie man sich dort „zu benehmen hat“ und wie eine Gesellschaft damit umgeht.

Genau darüber hatte ich passenderweise in der Vergangenheit eine Vorlesung, die meinen Blick auf das Denkmal verändert hat. Auch das hier behandelte Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin wurde angesprochen. Ich erinnere mich, dass der Architekt, der das Denkmal entworfen hat, sagte, man solle dort Essen und Tanzen und Leben herein bringen. Ein Denkmal sei schließlich ein Raum für die Lebenden, nicht für die Toten. Auf Wikipedia ist das Zitat zu lesen

„This is a place of no meaning“ (‚Es ist ein Ort ohne bestimmte Bedeutung‘).

Das Denkmal ist abstrakt, es gibt keine Gedenktafel an den Steinen selbst, keine Führung durch die Gänge oder einen Wegweiser, wie man hindurch zu laufen hat. Es sind eben einfache Steinquader. Und doch assoziieren die meisten damit den Holocaust und die getöteten Juden – vielleicht weil es eben gesagt wird, wofür das Denkmal stehen soll, vielleicht aufgrund des Informationszentrums unweit der Fläche, vielleicht auch einfach, weil Deutschland seine Geschichte des II. Weltkrieges sehr oft im öffentlichen Raum thematisiert. Ginge man jedoch unbedarft hinein, ich bezweifle, dass jeder die gleiche Assoziation hätte. Es könnte sich auch um eine Ehrung deutscher Physiker handeln oder um einen besonders hässlichen Stadtpark. Dies war einer meiner Kritikpunkte am Projekt: wenn ein Denkmal offen für Deutungen bleibt und den Besuchern Handlungsfreiheit gegeben wird, dann soll man ihnen diese auch gewähren.

Ein anderer Punkt, der mich an diesem Projekt störte, war die Zurschaustellung jener, die auf den Bildern abgelichtet waren. Ja, sie posteten öffentlich und damit war es „ihre eigene Schuld“ – doch ich fand es übergriffig, die Bilder aus einem vielleicht bestehenden Kontext zu nehmen und zu zeigen „schaut mal, die benehmen sich respektlos.“ Ich glaube nicht, dass Shapira das so gemeint hat, jedoch erweckte es bei vielen – so auch bei mir – jenen Eindruck. Das Internet ist ein Haifischbecken, das Fehler niemals vergisst. Wir alle machen Fehler, nur sieht das nicht immer jeder. Keines dieser Bilder wäre jemals derart aufgefallen.

Aber hier versteckt sich für mich ein Zwiespalt. Es hat mich zum Nachdenken gebracht. Und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es leicht ist, ein Bild unbedacht hochzuladen. Das ist nicht neu und keine Erfindung des Rads. Doch es kann auch diejenigen treffen, die sonst immer Datenschutz predigen, das mehrmalige Bedenken, bevor etwas veröffentlicht wird – und dann, zack, ist es in einer geistig umnebelten Sekunde doch geschehen, dass man auf Senden oder Hochladen geklickt hat.
Zudem sagt das Projekt eindeutig: denkt nach, welche Konsequenzen eure Handlungen haben. Ein Scherz ist immer nur dann ein Scherz, wenn er den richtigen Empfänger hat. Sarkasmus, Ironie und schwarzer Humor sind nicht immer willkommen, sie können verletzen. Wie der Schreiber des Briefes an Shapira geschrieben hat:

Das Foto war als Witz für meine Freunde gedacht. Ich bin dafür bekannt, dass ich Witze unterhalb der Gürtellinie mache, dumme Witze, sarkastische Witze. Sie verstehen meinen Humor. Wenn Du mich kennen würdest, würdest Du das auch… Aber wenn es öffentlich geteilt wird und es Fremde erreicht, die keine Ahnung haben wer ich bin, dann sehen sie jemanden, der etwas, was anderen Menschen wichtig ist, respektlos behandelt.
Quelle: yolocaust.de

Was mir aber nicht gefällt ist eben, dass diese Menschen eindeutig erkennbar waren auf ihren Bildern. Sie wurden nicht unkenntlich gemacht. Das Projekt löste viele Gefühle aus – und sehr viel Hass. Hass, der sich (auch) auf die Abgelichteten richtet, die öffentlich gezeigt wurden. Man kann sie wiedererkennen. Und wer genug Hass in sich trägt, der kann ihn vielleicht an einer der Personen entladen. Hier spricht mein Berufsethos: Wenn du ein Projekt mit Personen durchführst, dann bestimme IMMER deren Sicherheit als deine erste Priorität. Das sehe ich hier leider nicht gegeben.

Hier sieht man vielleicht, dass ich noch immer keine feste Meinung zum Projekt habe, aber das ist auch gar nicht immer nötig. Man muss schließlich nicht alles entweder-oder sehen, sondern kann auch eine ambivalente Meinung haben, sich unsicher sein. Diesen Punkt mag ich am Projekt Yolocaust, ich bin mir unsicher, ich beschäftige mich damit und im Gegenzug beschäftigt es mich.

Und es hat mich dazu gebracht, mir einmal anzusehen, wer dieser Shahak Shapira eigentlich ist. Er ist selbst, wie er sich selber beschreibt, ein eher unjüdischer Jude, der mit 14 Jahren mit seiner Familie von Israel nach Deutschland kam und schon einmal mediales Aufsehen erregte, als er antisemitische Gesänge in der U-Bahn Berlins filmte und dafür verprügelt wurde. Darüber wurde 2015 in der FAZ berichtet.

Ob das Detail, dass er Jude ist, Bedeutung in seinem Projekt trägt, kann ich nicht sagen. Zwar habe ich gelernt, dass autobiographischer Kontext für das Verständnis eines Werkes immer eine Wichtigkeit besitzt, doch manchmal, da ist es egal, finde ich zumindest.

Was meint ihr zu Yolocaust? Hat es euch empört, erfreut, ist es an euch vorbei gegangen? Was war euer erster Eindruck und was euer zweiter?


Indirekt zum Thema übrigens ein kleines „Quiz“. Nachdem Höcke in seiner letzten Rede zurecht viel Empörung auf sich zog, indem er im Melania-Style Teile seiner Rede abkupferte, jedoch bei gewissen Politikern der 30er und 40er Jahre, wurde das Quiz „Wer hat’s gesagt, Höcke oder Hitler“ online gestellt. Ich habe ganze 7 von 12 Punkten erhalten – gar nicht so leicht, Höckes Aussagen von denen Goebbels oder Hitlers zu unterscheiden. Teils musste ich raten, teils haben mir lediglich Wortwahl oder aktueller Bezug geholfen. Probiert’s aus und lasst mich wissen, was ihr denkt

HIER geht’s zum Quiz.

12 Kommentare zu „Projekt #Yolocaust

  1. 10 von 12! 😉

    Bezüglich dieses Projekts würde ich sagen, dass das auch eine Art und Weise ist, wie man mit Geschichte umgehen kann. Es wäre nur nicht meine und erzeugt bei mir Dauer-Kopfschütteln!

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      1. So genau weiß ich das eigentlich ehrlicherweise noch gar nicht! 🙂 Das war meine spontane erste Reaktion. Grundsätzlich ist der Gedanke, durch Veröffentlichung solcher Fotos die Thema wieder in die Öffentlichkeit zu bringen und deutlich zu machen, dass es da ein paar Jungspunde gibt, die offensichtlich so einiges nicht verstanden haben, ja ganz gut.

        Trotzdem erscheint es mir irgendwie falsch. Geschmack- und pietätlos. Vor dem Hintergrund, dass der Urheber der Aktion auch aus der Gruppe der Hinterbliebenen positive Reaktionen bekommen hat, sehe ich das möglicherweise auch zu kritisch. Und dennoch überkommt mich ein gewisses Unwohlsein.

        Dazu kommt noch der von dir bereits angesprochene Punkt, dass die Poster auf den Bildern nicht unkenntlich gemacht wurden. Das könnte im Einzelfall einen massiven gesellschaftlichen Spießrutenlauf für die Verantwortlichen bedeuten. Wobei – der Poster der oben gezeigten Fotos hätte sich einen solchen Spießrutenlauf mal mächtig verdient. 🙂

        Wenn ich das Ganze jetzt mal – naheliegenderweise – mit „Perlen-aus-Freital“ vergleiche, muss ich sagen, dass ich die „Perlen-aus-Freital“-Aktion gelungener finde. Vielleicht muss ich aber auch einfach noch ein bisschen darüber nachdenken. 😉

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      2. Oh, von der Perlen-aus-Freital-Aktion habe ich noch gar nichts mitbekommen, danke für die Erwähnung! So wie dir ging es mir anfangs auch, ich war komplett dagegen und fand es einfach nur schlecht. Aber mittlerweile, nach einer Woche grübeln, sehe ich es teils etwas anders. Den Spießrutenlauf halte ich aber wieder für bereits unnötig, der Poster wurde auf seinen verzapften Blödsinn aufmerksam gemacht, ist schockiert und hat seine Lektion gelernt.

        Ich weiss auch nicht, ob ich sagen würde, dass die dargestellten Poster etwas nicht verstanden haben. Eher denke ich, gehen sie zu sorglos mit der Geschichte und mit den Opfern um und damit, was ihre Bilder auslösen können. Ich bin nicht dafür, dass man dem Holocaust immer mit gesenktem Kopf, Scham und Trauer begegnen soll; es war schlimm ja. Dennoch macht das eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Thema schwierig. Mir fehlt manches Mal die Distanz. Das heisst nicht, dass wir das Thema hinter uns lassen sollen, im Gegenteil. Man muss sich damit selbst heute, ja vielleicht gerade heute, damit befassen. Nur eben nicht mehr so sentimental wie noch vor wenigen Jahrzehnten, sondern gefasster, nüchterner, distanzierter (im wissenschaftlichen Sinne) und freier. Ansonsten kommt ein Höcke daher und missbraucht geschichtliches und kulturelles Gedächtnis für seine ekelhaften Zwecke und nutzt die mit dem Thema verbundenen Emotionen für sich.

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      3. Gern geschehen. 🙂 Auf die Aktion weise ich immer wieder gerne hin, hatte sie auch bis vor kurzer Zeit in meiner Blogroll, aber offensichtlich gab es immer wieder Menschen, die das irritierte und die die Aktion falsch verstanden.

        „Eher denke ich, gehen sie zu sorglos mit der Geschichte und mit den Opfern um und damit, was ihre Bilder auslösen können.“

        Genau das meine ich, wenn ich sage, dass einige der Jungspunde etwas nicht verstanden haben. Sie haben nicht verstanden, was ihre Bilder auslösen, haben nicht verstanden, was das für die Angehörigen und Nachkommen der Opfer bedeuten kann, haben nicht verstanden, dass es Dinge gibt, die man einfach nicht macht!

        Grundsätzlich hast du natürlich recht, dass man auch vor dem Hintergrund des Holocausts nicht noch Jahrhunderte in Sack und Asche gehen kann. Auch für eine größere Distanz zu den Geschehnissen plädiere ich. Nur die Empathie sollte uns diesbezüglich nicht verloren gehen und wir sollten uns schon immer wieder bewusst machen, dass da ganze schreckliche Dinge passiert sind.

        Bernd Höcke tut das eben nicht. Er tut schon jetzt genau das, was du schreibst. Erschreckenderweise fällt seine Rethorik derzeit auf fruchtbaren Boden. Ich persönlich kann ihn irgendwie gar nicht ernst nehmen, ich finde ihn von vorne bis hinten lächerlich. Tragischerweise sollte man ihn und seinesgleichen ernst nehmen…

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  2. Es ist schön, dass du deine Uneinigkeit zu einem Thema offen darlegst und dich nicht für auf einen Standpunkt stellen möchtest. Ich selbst finde die Idee, wieder auf das eigentliche Thema (in dem Fall der Holocaust) aufmerksam zu machen richtig. Auch den Gegensatz dazu das Yolo (was gerade in Bezug auf die Tötung von Menschen umso heftiger ist) der heutigen Zeit (wobei die Leute gar nicht so arg Yolo leben, wie es immer getan wird). Ich stimme dir aber auch in dem Punkt vollkommen zu, dass die Gesichter unkenntlich hätten gemacht werden müssen. Bis zum Hass habe ich gar nicht gedacht. Ich habe die Bilder vor einigen Tagen gesehen und hatte mich sofort gewundert, weil ich da trotz öffentlich hochgeladenen Bildern eine Verletzung der Rechte vermutete. Dein Punkt zeigt dann auch sehr deutlich, warum hier eine Absprache mit den Abgebildeten unbedingt notwendig gewesen wäre. Wir leben heute in einer anderen Zeit und ich denke, dass besonders darauf der Blick gelegt werden sollte. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist immens wichtig, wie man in der momentanen Politik hervorragend beobachten kann. Danke für die Veröffentlichung deiner Gedanken. 🙂

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    1. Danke für Deinen Kommentar. An die Rechtsverletzung hatte ich auch zuerst gedacht. Zwar hatte der Künstler die Gelegenheit geboten, das Foto entfernen zu lassen. Doch das ist ein bisschen wie erst was verbrechen und sich dann entschuldigen – mag ich nicht. Rechtlich müsste ein Bild ja theoretisch eine Quellenangabe haben, jedoch sehe ich da wieder einen Rebungspunkt mit dem persönlichen Schutz – eine Angabe des Accounts wäre wieder unangebracht. Wie das rechtlich nun ist, keine Ahnung, nur Vermutungen.

      Was bei der Entladung öffentlichen Hasses für Kräfte walten können, hat man beobachten können, als vor Jahren ein 17jähriger fälschlicherweise als Vergewaltigungstäter öffentlich gemacht wurde und fast gelyncht wurde, bis sich herausstellte, dass er unschuldig war. Klar, ein vollkommen anderes Beispiel. Doch die Gefahr sehe ich auch bei anderen emotionsgeladenen Themen gegeben.

      Und ja, so Yolo sind die meisten gar nicht. Ein paar, die dann auffallen, aber eben nur ein paar.

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  3. Ich es toll, dass du Shapiras Projekt hier aufgreifst; mich selbst hat die Seite auch sehr nachdenklich gemacht. Im ersten Augenblick war ich auch schockiert und empfand die entstandenen Bilder/Metaphern als zu krass und überzogen, im zweiten musste ich dann darüber nachdenken: ist ein Mahnmal/Denkmal gleichzusetzen mit Gräbern/Leichen/ermordeten Menschen?
    Toll, dass Du Deine Erfahrung aus der entsprechenden Vorlesung hier eingebracht hast! Für mich ist es eigentlich selbstverständlich, mich an einem solchen Ort respektvoll zu verhalten. Aber auch hier kann man streiten: Was ist respektvoll und was haben die ermordeten Juden davon, ob wir „lustige“ Selfies von uns auf ein paar Steinen machen, die abstrakter Weise irgendwie mit dem Holocaust in Verbindung stehen?
    Grundsätzlich empfand ich das Projekt auch als sehr gelungen, gerade weil es zum Nachdenken anregt und niemanden kaltlassen kann. Es löst eben Emotionen aus, egal in welcher Hinsicht.
    Trotzdem muss ich auch zugeben, dass er zumindest die Gesichter hätte unkenntlich machen müssen. Und ich kann mich des Gedankens nicht verwehren, dass Shapira als Medienprofi ziemlich gut wusste, was für Kreise diese Aktion ziehen würde…

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