Eine offene Tür
Das Feuer im Ofen war über Nacht ausgegangen und so fror Karl am frühen Morgen in seiner kleinen Hütte. Er griff sich noch im Bett zwei Holzscheite, brachte diese zu dem alten Metallofen, stellte sie gegeneinander auf und schürte das Feuer. Er hatte diese kleine Hütte kostenlos zur Pacht erhalten. Dafür sollte er sich um den Garten und um die Hütte die kümmern. Den Sommer über hatte er das Gelände gehegt und gepflegt und die Hütte wintertauglich gemacht, dafür hatte er im Winter wenig zu tun. Getrocknetes Holz hatte er nebenan in einem Schuppen gelagert, so ließ es sich leben. Wenn da die Kälte nicht gewesen wäre, die sofort eintrat, wenn das Feuer im Ofen sich in Glut verwandelte. Strom gab es nur über einen Dieselgenerator, auf den er aber nur zu gern verzichtete, da dieser jegliche Ruhe vernichtete. Als das Feuer wieder brannte, spürte er die Kälte in seinen Gliedern, sah sich nach dem Korb für das Feuerholz um und beschloss, dessen Leere aufzufüllen. Er zog sich die kalten Sachen an, schlüpfte in die Winterstiefel und öffnete die Tür, so dass ihm die kalte Winterluft Schnee ins Gesicht blies. Karl stapfte durch den knirschenden Schnee und öffnete die Tür zur Scheune. Direkt zu seiner linken lagen die Holzscheite, von denen er sich so viele griff, wie in den Korb passten und zusätzlich klemmte er sich noch zwei unter den Arm. Er drehte sich rechts herum und dabei fuhr es ihm durch die Glieder, denn er hatte dabei eine menschliche Gestalt in der rechten Ecke des Schuppens erhascht. Wie erstarrt stand er für eine Sekunde in der Tür und drehte dann seinen Kopf zurück. Zwei Augen blickten ihn an. „Was tust du hier?“, entfuhr es ihm. Er erhielt keine Antwort und dies gab ihm Mut. „Wer bist du?“, fragte er darauf. Wieder keine Antwort, aber seine Augen hatten sich mittlerweile etwas besser an das Dunkel des Schuppens gewöhnt und er konnte mittlerweile erkennen, dass es sich um einen Jungen handelte. Er trug zerlumpte Winterklamotten und sah recht dreckig aus. Vor allem aber hörte er, wie der Junge bibberte. Er ging einen Schritt auf ihn zu und dieser schien sich noch etwas weiter in die Ecke zu schieben. „Na komm mit“, sagte Karl in einem sanften Ton und berührte den Jungen dabei an dessen Schulter. Der Junge bewegte sich nicht. „Okay, ich werde jetzt rübergehen und ich lasse die Türen offen. Folge mir einfach!“, sagte Karl und hoffte, dass die verschreckte Person ihn verstehen würde und sei es nur durch die Geste der offenen Türen. Er ging in das Haus hinüber, stellte das Holz ab und setzte Wasser auf dem bereits heißen Ofen auf. Er suchte sich aus seinen Vorratsgläsern einige Kräuter für einen erfrischenden Tee zusammen und gab die Kräuter in eine Teekanne. Als er mit der Prozedur soweit fertig war, stand in der Tür der zitternde Junge. Karl machte eine Handbewegung, die verdeutlichte, dass sein Besucher hereinkommen sollte und dies tat er zögerlich, dabei ließen dessen Augen nie von Karl ab, während dieser auf das Kochen des Wassers wartete. „Bitte schließe doch noch die Tür“, sagte er und nickte mit dem Kopf in die Richtung. Der Junge schien zu verstehen, er schloss die Tür und drehte sich danach sofort wieder zu Karl um. „Setz dich doch, du siehst aus, als ob du einen warmen Platz für dich brauchst!“, befahl Karl freundlich. Der Junge blieb stehen. Karl nahm die Sachen von einem Sessel am Fenster und stellte diesen nah an den Ofen. Dann pochte er zweimal mit der Hand auf die Sitzfläche und nickte dem Besucher freundlich zu. Dieser verstand die Einladung und setzte sich. Karl nahm das sprudelnde Wasser von dem Ofen und goss es in die Kanne. Für einige Momente schwiegen Beide und Karl sah in den Ofen, lauschte dem Knacken des Holzes und beobachtete die Flammen bei ihrem Tanz. Nach einer Weile nahm er sich zwei Tassen, legte ein Sieb auf die eine und goss den Tee ein, daraufhin legte er das Sieb auf die andere und füllte auch diese. Den Inhalt des Siebes leerte er über der Teekanne aus, die er daraufhin mit einem Deckel verschloss. Er hielt dem Besucher eine Tasse hin und sagte: „Ich weiß nicht, wie ich dir helfen kann, wenn du nicht mit mir sprichst.“ Der Junge nahm das Gefäß in seine Hände und roch daran. Er zitterte noch immer, aber es war besser geworden. Er nippte vorsichtig am Tee, blickte dann wieder zu Karl und ein Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit. Die Beiden saßen noch eine Weile dort. Immer wieder sprach Karl mit seinem Besucher und dieser antwortete auch weiterhin nicht mit Worten. Irgendwann erinnerte sich Karl an den Schuppen und dass dessen Tür wohl noch offenstehen müsste. „Ich mache nur kurz die Tür drüben zu, sammle ein wenig Schnee, das ich aufkoche und bin gleich wieder da“, sagte Karl zu dem Jungen, der noch immer in dem Sessel saß und sich mittlerweile aufgewärmt hatte. Karl nahm sich einen großen Eimer, eine kleine Schaufel und ebenso den Korb für das Feuerholz mit, welchen er vorher noch leerte. Es brauchte keine fünf Minuten, da kam er wieder in die Hütte, doch sein Besuch saß nicht mehr im Sessel. Er vermutete den Jungen auf der Toilette und so stellte er den Korb und den Eimer ab. Er schaufelte den Schnee in einen Topf und stellte diesen auf den Ofen zum Schmelzen. Als das Wasser kochte und der Besucher noch immer nicht wiedergekehrt war, sah Karl nach und fand niemanden in der Toilette vor. Karl schaute auf den Sessel, auf dem der Junge gesessen hatte. Es lag ein kleiner Zettel darauf, auf dem >Danke< geschrieben stand. Karl nahm den Zettel an sich. Er stellte den Topf vom Offen und spürte eine gewisse Trauer, weil sein Besucher gegangen war und auch Freude, dass er ihm für einen Moment helfen konnte. Er fand nie heraus, wer er war und warum er nicht mit ihm gesprochen hatte, doch er wusste, dass es richtig gewesen war, diesem Menschen für eine kurze Zeit ein warmes Heim zu geben.
Ich liebe solche Geschichten! Danke schön dafür!
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