Hört auf, Müttern Angst zu machen!

Liebe Ärzte, liebe Großeltern, liebe Hebammen,

wir müssen reden.

Immer wieder erfahre ich aus meinem Freundeskreis von jungen Müttern, wie gestresst sie sind, weil bestimmte Dinge noch nicht klappen, die doch eigentlich klappen müssten, weil bei allen anderen es doch (gefühlt) auch funktioniert.

Das ist fürchterlich.

Ich habe es selbst ebenso erlebt. Das fängt schon in der Schwangerschaft an: Mama nimmt zu viel oder zu wenig zu, Mama isst nicht ausreichend oder zu viel, das Kind ist zu klein oder zu groß, wenn man nach der Tabelle geht…

Ist das Kind geboren, wird es weiterhin in alle möglichen Tabellen gepresst: Größe, Gewicht, Trinkmenge, Schlafgewohnheiten…

Und immer wieder wird mit Angst gearbeitet: Wenn Du Dein Kind im Bett schlafen lässt, könntest Du es im Schlaf ersticken; wenn es nicht bei Dir schläft, könntest Du Anomalien nicht mitbekommen und dann stirbt es am plötzlichen Kindstod. Wenn es einen Tag zu früh Brei bekommt, wird es krank, wenn es einen Tag zu spät Brei bekommt, bekommt es Ernährungsstörungen. Und WEHE das Kind geht nicht ab einem ganz bestimmten Zeitpunkt selbständig aufs Klo, ABER DANN!

Zum Teufel mit diesen Tabellen, mit diesen ewig aufgedrückten Zwängen! Das Kind trinkt weniger, als es nach Tabelle sollte? So what? Ist es gesund, macht es einen guten Eindruck und ist fröhlich, dann ist es egal, ob es nun ein paar Milliliter mehr oder weniger getrunken hat: dann braucht es einfach nicht mehr oder weniger! Wir Erwachsenen sind so individuell, wie wir es sein wollen. Warum spricht man das den Kindern ab? Eine Freundin sagte mir einmal traurig, dass ihre Zwillinge gar nicht so viel Milch trinken wie sie laut Arzt sollten. Zum einen waren die beiden da noch so winzig, dass ich mich fragte, wie auch noch mehr in sie hinein passen sollte – die Tabellen sind auf Durchschnittswerte ausgelegt, aber wer hat denn schon Durchschnittswerte? Zum anderen waren die beiden so sichtlich gesund, dass ich ein bisschen wütend wurde, dass meiner Freundin, die wirklich hinreißend für ihre Zwerge sorgte, solcher Druck gemacht wurde. Wem soll das helfen?

Meine Mutter hat mich noch zu DDR-Zeiten geboren und aufgezogen. Damals gab es ganz harte Vorschriften: wenn das Kind mit einem Jahr noch nicht trocken war, dann hatte die Mutter versagt! Ich kann mich erinnern, dass die Windel-Kinder in der Krippe/ im Kindergarten morgens erst einmal eine Stunde lang auf den Topf gesetzt wurden. Gott sei Dank ist das heute verboten – zu Recht! Püppi fängt gerade erst an, trocken zu werden. Vor einem Monat feierte sie ihren zweiten Geburtstag. Schon als sie noch nicht einmal richtig sitzen konnte, entwickelte meine Mutter eine ungesunde Obsession für Püppis Töpfchentätigkeiten. Ich kann es verstehen, meine Mutter kennt es so – es ist aber wahnsinnig anstrengend, bei jedem Gespräch gefragt zu werden „Und? Geht sie schon aufs Töpfchen?“ Mit fortlaufender Zeit wandelte sich die Intensität der Fragen: „Und? Geht sie jetzt endlich aufs Töpfchen?“

Auch beim Essen, der Beikost, gab es Druck von mehreren Seiten. Man solle bloß um Himmels Willen mit 5 Monaten, spätestens mit 6, anfangen, Beikost zu geben. Was soll ich sagen, da hat Püppi mich noch angeschaut als sei ich nicht ganz bei Trost mit meinem Löffel voll Möhrchenpampe. Also habe ich ignoriert, dass Ärzte und andere Eltern immer wieder fragten: „wie viel isst sie denn schon? WAS? Noch gar nichts?!“ Dann habe ich es eben mit 8 oder 9 Monaten noch einmal versucht, nach einer Woche festgestellt: Brei ist einfach nicht ihres, aber gekochtes Gemüse geht und siehe da, Püppi isst gerne und ausreichend. Wobei selbst „ausreichend“ schon wieder so subjektiv ist, dass mancher wohl die Augenbraue heben würde, ob der großen und winzigen Portionen, die sie manchmal isst. So wie der Tag eben ist. Aber geht es uns nicht allen so?

Ich selbst muss mich ja auch manchmal zusammenreißen, meine Erfahrungen nicht 1:1 auf die Kinder anderer übertragen zu wollen. Denn auch wenn ich ein paar Dinge gelernt habe im Laufe der Zeit als Mama: diese Erfahrungswerte sind sehr speziell und passen in der Regel auch nur auf ein Kind, nämlich auf meines. Was bei Püppi geklappt hat, kann bei anderen schief gehen und vice versa. Die Herzfreundin fragt mich ab und an um Rat, das freut mich auch sehr, ich komme mir dann vor wie eine Expertin. Dann mache ich ihr aber Vorschläge und sage immer dazu, dass es bei Püppi zwar so klappte, es aber keine Allgemeingültigkeit besitzt. Ich mache Vorschläge und keine Vorschriften.

Liebe Mamas,

hört auf eure Intuition! Lasst euch nicht verunsichern!

Ich weiß selber sehr genau, dass das leichter gesagt ist als getan. Gerade in den ersten Lebensmonaten des Kindes ist man doch sehr verunsichert. Wenn ihr aber das Gefühl habt, dass alles in Ordnung ist und es so klappt, wie ihr es macht, dann ignoriert die Tabellen, ignoriert die strengen Regeln, die an euch heran getragen werden. Ihr macht das schon!

Es ist unendlich anstrengend, immer wieder diskutieren zu müssen, weil etwa eure eigenen Mütter ganz andere Vorstellungen haben als ihr. Ich sag euch eins: spart euch die Energie. Diskutiert nicht. Das ist gar nicht schlimm und ihr seid keine schlechten Mütter oder Töchter. Ihr habt eben einfach eure eigenen Ideen. Das was ihr sagt, ist Gesetz. Niemand anderes kann euch da reinreden. Selbst eure eigenen Mütter nicht. Ja, sie haben ihren Job damals auch gut gemacht. Aber Zeiten ändern sich, Erziehungsstile ändern sich. Aber eure Mütter hatten schon ihre eigene Zeit. Jetzt seid ihr dran.

Und wenn es mal wieder heißt „Das musst Du aber anders machen!“, dann bedankt euch für den Ratschlag, sagt, dass ihr das erst einmal selber versuchen möchtet und dass ihr aber gerne darauf zurück kommt, wenn es nicht funktionieren sollte. So gab es mit meiner Mutter nach monatelangen Dauerdiskussionen auch endlich einmal Frieden.*


*Bisher hat aber fast alles so geklappt, wie ich es versucht habe. Wer kennt schließlich mein Kind besser als ich?

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7 Kommentare zu „Hört auf, Müttern Angst zu machen!

  1. Erstmal vorweg: Ich finde deinen Beitrag ganz toll 🙂 Großartig um genau zu sein. Allerdings kam ich dabei auch ins Grübeln und hab mich gedanklich noch mal zurück versetzt in meine Schwangerschaftszeit und die ersten Monate mit Wurzelgnom. Man, was hab ich viele gut gemeinte Ratschläge bekommen xD Zum verrücktwerden und am Anfang war ich auch ziemlich bereit alles mögliche umzusetzen, weil ich annahm, das eine Mama, die z.B. schon mehrere Kinder hat, ja durchaus wissen muss, wovon sie reden und ich, die ja noch kein Kind hatte und ganz neu in dem buisness, noch ganz viel lernen muss. Und klar, ich hab auch eifrig gelesen hier und da und wenn ich vorher was schlaues konsumiert hatte, “ wusste“ ich es dann doch besser und habs lieber nicht so gemacht wie meine Mutter es vorgeschlagen hat, weil , das ist ja nicht richtig! Letztlich … hab ich dann festgestellt, dass viele Ratschläge bei meinem Gnom einfach nicht funktionierten. Und teilweise nicht nur für ihn nicht sondern auch für mich nicht! Oft übernahm dann Intuitiv das Bauchgefühl, auch wenn ich mindestens genauso oft völlig ratlos und verzweifelt war. In dieser Zeit hagelte es natürlich auch wieder diverses von allen Seiten und das war dann der Moment, wo ich anfing mich aktiv gegen Statistiken und Ratschläge zu wehren. Letztlich bin ich der Meinung, dass dieses „wehren“ der eigentliche Beginn meiner wahren Mutterschaft war. Das einsehen, dass oftmals mein Bauchgefühl viel mehr weiß, als alle anderen Mütter oder buchschreibende Fachleute. Das ich mein Kind kennenlernen muss, um zu verstehen, was geht und was nicht und was es braucht. Das ist ein wichtiger Schritt in der Beziehungsentwicklung zwischen Mutter und Kind und ganz wichtig für die Mutter selbst. Wenn ich etwas bei anderen Müttern sehe, wo mir innerlich ganz übel wird, dann werd ich das wohl auch weiterhin dezent ansprechen. Mit dem Wissen, dass mir die Frau eventuell ihr Spucktuch ins Gesicht drückt. Das ist okay für mich. Und ich werd mir auch weiterhin hier und da was sagen lassen. Letztlich entscheide ich selbst, ob ich das probiere oder nicht und ob ich was prüfen lasse oder nicht. Des Weiteren sehe ich die Gefahr, dass junge Mütter anfangen generell ALLES abzulehnen, was man ihnen sagt und einfach gar nix mehr zu lesen und dann wirklich nicht mal die essenziellen Dinge wissen. Da mir ein solcher Fall bekannt ist und die Folgen für das Kind verherrend gewesen sind, bin ich der Meinung … es schadet nicht, sich nerven zu lassen, wenn es schlussendlich dafür sorgt, dass man die Stärke hat seinen eigenen Weg zu gehen. Mit dem Kind zusammen, natürlich! In diesem Sinne, toller Beitrag! Immer noch! Und hier quasi nur mein eigenes Gedankenspiel und Meinung zum Thema 😀

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    1. Vielen Dank für Deinen langen Kommentar!

      Ja, da stimme ich Dir zu, diesen Gedanken hatte ich auch, dass dann die eine oder andere sich gar nix mehr sagen lässt, auch wenn es vielleicht gar nicht verkehrt ist. Aber ich habe für mich entschieden, dass das seltener der Fall ist, als dass frischgebackene Mütter völlig überfordert werden mit den Massen an Ratschlägen und „Regeln“, dass ich mich in diesem Beitrag für diesen Weg entschieden habe.

      Diesen Klick-Moment, den Du beschreibst, habe ich auch genau so erlebt. Dann war ich endlich „so richtig“ Mutter, also habe mich gefestigt gefühlt in dieser Rolle. Ich weiß aber nicht, ob man dieses Generve und Unsichermachen am Anfang braucht, um sich zu befreien, oder ob es nicht ohne genauso ginge. Darüber muss ich noch mal nachdenken.

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      1. Ich habe mit meiner Mutter drüber geredet, als sie mir zum Tausendsten Mal sagte, ich solle etwas anders machen und ich ihr eben nicht zum tausendsten Male sagen wollte, dass ich das so nicht möchte. Wir sind drauf gekommen, wie es denn bei ihr war. Sie wohnte mit mir direkt bei ihren Eltern. Meine Güte, muss das anstrengend gewesen sein! Ich würde das heute nicht wollen. Jedenfalls bestätigte sie mir, dass alles kommentiert wurde und sie da doch schon sehr genervt war. Sie war eine ganze Ecke jünger als ich damals und auch ganz ohne Vorerfahrungen, vermutlich war die Erfahrung dann noch etwas intensiver. Gerade so ganz ohne Internet und Vergleichswerte…

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      2. Meine Mutter war weit weg von ihren Eltern, hatte aber ihre Schwiegermutter und das ist irgendwann so ekalsiert, dass sie ihr ein Bild über den Kopf gezogen hat. Ganz comichaft quasi. Also… Hähä… Ich denke jede Mutter die in der uns bekannten Zivilisation lebt oder gelebt hat, kennt es irgendwie

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      3. Ja, sehr wahrscheinlich. Ich höre auch immer wieder, dass Schwiegermütter bei Nachwuchs sehr anstrengend sind. Ich hatte da Glück, die Mutter des Engländers hält sich raus und sagt höchstens mal ganz vorsichtig, wie sie das damals gemacht hat, packt das aber so schön in Anekdoten ein, dass man sich nicht angegriffen fühlt. Das ist sehr angenehm.

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