Im Laufe des Erwachsenwerdens, das in etwa ab der Pubertät beginnt, lernen wir, dass das Leben nicht nur entweder gut oder schlecht ist, sondern dass es unzählige Facetten dazwischen gibt. Ein freudiges Ereignis kann ein Aber beinhalten und selbst das größte Unglück kann einen kleinen hellen Schimmer in sich tragen.
Die Kunst mit diesen grauen Massen zwischen Entweder und Oder umzugehen besteht darin, Dinge akzeptieren zu lernen. Das gilt nicht nur für Negatives, sondern auch für Positives, das man sich gelegentlich nicht gönnt oder für unverdient hält. Es geht darum, nicht übermäßig optimistisch oder pessimistisch zu werden, sondern eine Balance zu finden, ohne jedoch in Gleichgültigkeit abzudriften.
Gut und Böse, Recht und Unrecht – manchmal wäre es einfacher, das Leben bestünde aus Dichotomien. Doch wir wabern durch ein Geflecht aus Grauzonen, das weit mehr als 50 Abstufungen umfasst. Gelegentlich möchte man die Haare raufen ob der Uneindeutigkeiten, derer es kein Entrinnen gibt.
Und manchmal, ganz selten, doch es kommt vor, wünschte ich, eine Situation sei eindeutig, durchsichtig, greifbar. Lange Zeit jedoch balancierte ich auf der Trennlinie zwischen akzeptabel und inakzeptabel, sodass ich unzufrieden war, jedoch nicht genug, um etwas an der Situation zu ändern. Es war gemütlich, in meiner Komfortblase zu verweilen, auch wenn ich stets mit den Gedanken in anderen Sphären schwebte.
So ließ ich mich hinreißen die Welt zu erkunden, ein Fuß in Sicherheit, mit dem anderen in Abenteuern. Auf meinen Erkundungstouren war ich allein. Den Partner, mit dem ich diese Erlebnisse teilen wollte, den gab es nicht mehr. Wir hatten uns auseinander gelebt. So teilten wir Bett und Tisch, doch kein Leben mehr, keine Innigkeit und Verbundenheit, wie ich sie mir für eine Beziehung wünsche. Die Hoffnung, das „alte Wir“ zurück zu bekommen, hatte ich längst aufgegeben, doch war es auch eine Hoffnung, so gesehen auf ein Wunder, die mich hielt.
Es geschah jedoch, dass ich mich verliebte. Langsam, aber intensiv. Aus einer schönen Freundschaft erwuchs weit mehr. Ich wehrte mich, wollte es nicht zulassen, konnte doch keinen Verrat, keinen Betrug begehen. Doch wie es so ist mit Gefühlen: es ist zwecklos, sich ihnen entgegen zu stellen. Je intensiver sie sind, desto mehr nagen sie. Ohne es zu wollen befand ich mich in einer Situation, die ich stets verurteilte, da ich sie für unmoralisch hielt. Ich hatte mich getäuscht! Situationen sind nicht immer herbeigeführt und nicht immer gibt es einen einfachen Weg heraus. Nicht immer ist Moral der priorisierte Wert und nicht immer gibt es einen sauberen Schnitt.
Mr. English jedoch, der Mann, mit dem ich sein wollte, war weit weg, eine Tagesreise nur, doch zu weit, als dass die bewusste Entscheidung für ein Wir einfach gewesen wäre. Es war lange ein Vielleicht. Bis zu jenem Tag, der alles verändern sollte, der alles auf den Kopf stellte.