Voll extrem, ey!

Morgen gehts rund: ich halte ein Referat. Als Allererste!

Die Vorbereitungszeit war verdammt kurz, vor allem wenn man berücksichtigt, dass ein Tag für Muttern reserviert war und ich an einem anderen -wie sollte es anders sein- Migräne hatte. Somit hatte ich nur zwei Tage Zeit, ein halbwegs vernünftiges Handout zu gestalten, das ich am Sonntag schon meiner Dozentin schicken sollte, mich in 3 längere wissenschaftliche Texte einzuarbeiten (wovon einer so angenehm zu lesen war wie Hämmorrhoiden während einer Magen-Darm-Grippe) und diese zu einem Vortrag auszuarbeiten, bei dem meine Kommillitonen weder einschlafen noch fiese Fragen stellen können. Einer dieser beiden Tage war leider auch nur zur Hälfte zum Ausarbeiten gut, denn am Abend kam Besuch und davor möchte man ja schon mal ein wenig Ordnung in der Wohnung schaffen…

Nichtsdestrotrotz bin ich nahezu fertig und habe dabei sogar was gelernt- wie es ja sein sollte. Somit referiere ich morgen früh über Rechtsextremismus und Extremismustheorien. 30 Minuten soll der Spaß dauern. Eigentlich ist es interessant, aber ich habe so gar keine Lust, mich vor alle zu stellen und zu reden. Ich bin gerade echt maulfaul. Und auch sonst faul. Ich will eigentlich nur meine Ruhe haben und ungestört zuhören. Jetzt muss ich selber reden. Und die anderen dürfen zuhören. Menno!

Aber was solls. Danach habe ich zumindest den Rest des Semesters in diesem Seminar Ruhe vor sowas. Dann lehne ich mich zurück und sehe den anderen beim Schwitzen Erzählen zu. Und einen Vorteil hat es, wenn man als Erster dran ist: Einerseits gibt es keinen Vergleichswert, keine Messlatte. Andererseits kann ich mir diejenigen merken, die blöde Fragen stellen und dann bei ihren Vorträgen blöde Fragen stellen, hähä! Nicht dass ich nachtragend wäre, … ach was erzähl ich da, manchmal finde ich Rache schon schön. 😉

Um es kurz zusammen zu fassen: Es gibt die Theorie, dass eine demokratische Mitte existiert, die es von extremen Rändern zu unterscheiden und vor diesen zu schützen gilt. Neben linkem, rechten oder religiösem Extremismus wurde auch der Begriff des Extremismus der Mitte geprägt (Ende der 50er von Seymour Martin Lipset), der besagt, dass auch die gesellschaftliche Mitte intolerante Tendenzen aufweisen kann, die autoritären Regierungen Tür und Tor öffnet. Ein Beispiel wäre der Übergang von der Weimarer Republik zum Nationalsozialismus (der Wahlerfolg der NSDAP ist Eliten aus der gesellschaftlichen Mitte zuzuschreiben; Umberto Eco sagte auch, der Faschismus sei aus der Frustration des Mittelstandes heraus entstanden.) Als weiteres Beispiel wird das Gesellschaftssystem der 90er Jahre genannt, in dem politische und ökonomische Eliten durch ihre Positionierung in Debatten um Leitkultur, Multikulturalität, Nation und Einwanderung rechtsextremes Gedankengutschlecht und somit eine autoritäre Gesellschaft förderten.

Kritiken an der Extremismustheorie sind unter anderem, dass das Extremismus – Mitte – Extremismus- Modell viel zu eindimensional wäre, wobei ich auf jeden Fall zustimmen würde. Außerdem sei „Extremismus“ ein Kampfbegriff, der Ansichten lediglich nach Freund und Feind unterscheidet und dadurch bestimmte Meinungen und Einstellungen ausgrenzt und die Träger stigmatisiert. Gegenkritik: Wenn man den Begriff des Extremismus ablehnt, kann man gleich alle wertenden, normativen Begriffe ablehnen, denn schließlich hat man schon immer verschiedene Begriffe als „Kampfbegriffe“ gebraucht und sie mit verschiedenen Bedeutungen versehen, um Stellung zu beziehen.

Weitere Kritik: „Extremismus“ setzt Ungleiches gleich, indem ex z.B. Rechts- und Linksextremismus in einen Topf wirft. Einige Wissenschaftler, die über Rechtsextremismus schreiben, weigern sich, den Begriff des Linksextremismus anzuerkennen. Und überhaupt würde das Extremismuskonzept eine Ähnlichkeit suggerieren, die es so nicht gibt. Persönlich bin ich mir ehrlich gesagt nicht so sicher, ob man diese „Kritik“ überhaupt ernst nehmen kann…

Übrigens gibt es sogar Wissenschaftler, die die Existenz von Extremismus in jeder Form komplett leugnen. Ich denke mal, dann sind extremistische Übergriffe oder aber die Arbeit von Extremismusforschern und deren deutliche Ergebnisse bloß eine Lüge der Matrix. Oder Zufall. Oder eine kollektive Halluzination.

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Vom Rudern in braunen Tümpeln

In den letzten Wochen sorgte eine Ruderin für ziemlich viel Aufruhr. Sie wurde von den Olympischen Spielen ausgeschlossen, weil ihr Lebensgefährte rechtsradikal war oder noch ist. Zugegeben, wer 5 Jahre mit einem (ehemaligen) Neonazi zusammen lebt, muss sich entweder absolut nicht um politische Themen und Einstellungen kümmern, oder er muss das rechte Gedankenschlecht doch zumindest tolerieren.

Trotzdem: Nadja Drygalla selbst ist nichts nachzuweisen, was irgendwie rechts geartet wäre. Keine Äußerungen, keine Verhaltensauffälligkeiten, nichts. Insofern ist es doch nicht fair, sie für ihren Partner zu bestrafen. Denn, wie Martenstein es in seiner dieswöchigen Kolumne erklärt: Im Rechtsstaat wird man nur für sein eigenes Handeln verantwortlich gemacht; nur in einer Diktatur werden auch die Lebenspartner mitbestraft.

Wir sollten hier also unsere eigenen (Vor-) Urteile noch einmal überdenken- auch wenn es schwerfällt.

Ich selbst war einmal ziemlich kompromisslos beim Thema Neonazis. Überspitzt gesagt: Hast du dich mit einem von „denen“ unterhalten, warst du für mich schon fast ein Freund von ihnen. Das war dumm, das weiß ich heute. Genauso weiß ich, dass es dumm ist, die rechten Mitläufer (und ich meine nur die) auszugrenzen, statt sie aufzuklären und einzugliedern. Würde man Jugendlichen zuhören, die zur Rechtsradikalität neigen, statt sie fortzuschicken, dann würden vielleicht aus den Uwe Böhnhardts und den Beate Zschäpes keine Rechtsterroristen werden. Die Lebensgeschichte von diesen beiden und vielen anderen Neonazis ist doch so ähnlich, dass die Parallelen geradezu schmerzen, wenn sie einem ins Auge springen.

Immer wieder handeln diese Geschichten von sozialer Ausgrenzung, emotionaler Kälte, Perspektivenlosigkeit. Immer wieder finden genau diese aufgegebenen Jugendlichen Halt in Gruppen, die ihnen Zugehörigkeit und Miteinander versprechen. Immer wieder sind ebendiese Gruppen jene, die solche Jugendlichen als leichte Opfer einfach zu ködern verstehen, indem sie sie gleichmachen und ihnen ihre Liedchen vom gemeinsamen Widerstand, familiärem Zusammenhalt und der Chance auf Rache an der Gesellschaft trällern, so lange, bis ihnen bedingungslos geglaubt und hinterhermarschiert, bis blind gehorcht und die Klappe gehalten wird.

An jener Stelle fühlen wir alle uns unwohl. Doch genau hier müssen wir uns entscheiden, ob wir die strauchelnden jungen Menschen weiter weg vom Steg und hinein in den braunen Tümpel treiben lassen, oder ob wir sie ans Land holen und ihnen zeigen wollen, dass es auch andere Wege gibt und sie woanders als im braunen Sumpf Halt finden können, um normal und gemeinschaftlich Seite an Seite miteinander zu leben.

Ich persönlich fühle mich unwohl bei dem Gedanken, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Ausgeschlossene und Verzweifelte existieren, die nur im braunen Hass eine Hoffnung sehen.