Verzeihen

Verzeihen ist ein riesen Thema. Da, wo Menschen miteinander zu tun haben und wo sie kommunizieren, da machen sie auch Fehler und wo Fehler gemacht werden, steht die Frage des Verzeihens oder Nicht-Verzeihens im Raum.

Die großen Religionen kennen das Verzeihen und halten es für immens wichtig. Der Islam etwa sagt, dass nur dem von Gott verziehen wird, der selber verzeihen kann. Und dass Gott außerdem nur dann einen Fehler verzeiht, wenn der Geschädigte selbst dem Verursacher verziehen hat. Quasi eine doppelte Verstrickung: man muss verzeihen können und es muss einem selbst verziehen werden.

Die Christen predigen Vergebung, die Juden ebenso und überhaupt muss ein Religiöser egal welcher Religion verzeihen.

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In der Weltpolitik wird eher indirekt verziehen. Stattdessen wird viel mehr verhandelt, wobei das offizielle und das bürgerliche Befinden schon einmal krass außeinanderdriften kann. Man denke nur an die Briten und die Franzosen. Ob Deutschland jemals verziehen wird -und viel wichtiger:ob es sich jemals selbst verzeiht- ist unklar. Nazibashing wird aber zunehmend verpönt.

Im privaten, persönlichen Leben ist Verzeihen ebenso ein kontroverser Punkt. Verzeiht man dem Gegenüber und zeigt sich gutherzig, oder verzeiht man nicht und macht klar, dass man so mit sich nicht umspringen lässt?

Ich muss sagen, dass ich selber für diese Frage noch keine Lösung gefunden habe. Dass es aber kein Patentrezept dafür gibt ist wohl klar. Schließlich muss jede Situation individuell betrachtet und beurteilt werden. Was bei A funktioniert, könnte bei B schon wieder schaden. Und eben das macht es manchmal so schwer, die richtige Entscheidung zu treffen.

In den letzten Jahren neigte ich sehr dazu, zu schnell und zu viel zu verzeihen. Das setzte für einige Menschen, die nun nicht mehr zu meinen Freunden zählen, das Zeichen, dass man sich bei mir alles erlauben könne. Ich würde es ja ohnehin verzeihen. So kam es, dass das Wort „Entschuldigung“ inflationär und ohne es wirklich zu meinen gebraucht wurde.

Damit bin ich an meinem eigentlichen Punkt: ich kann Entschuldigungen nicht ausstehen.

Ja, ich weiß, man macht Fehler und die tun einem leid. Einige dieser Fehler sind vermeidbar, andere nicht. Die, die hätten vermieden werden können (ich liebe die deutsche Sprache), ärgern mich grundsätzlich mehr, denn man hätte es ja gleich richtig machen können. Okay, auch nicht ganz korrekt. Sofern das aber keine unendlich hundsföttischen Schnitzer sind, kann ich auch die verzeihen, so denn ersichtlich ist, dass der Betreffende es ernst meint. Die Fehler, die nicht hätten vermieden werden können (das musste ich einfach noch einmal schreiben!), sind vermutlich auch ärgerlich oder schmerzhaft oder beides, doch die kann ich dennoch nachvollziehen. Gerade für diese brauche ich keine wahnsinns Entschuldigungen und keine Reuetänze. Was ich dort brauche ist Zeit.

Ich brauche Zeit, um zu verzeihen. Ein sofortiges Sorry erweckt bei mir eher den Anschein, dass es eben nicht ernst gemeint wird oder sogar einkalkuliert wurde, die „Tat“ also begangen wurde in dem Wissen, dass ein zu verzeihender Fehler geschehen würde. Und dieser Sachverhalt, diese Absicht und das Kalkül, verletzen doch meist mehr als die Tat an sich.

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Ich finde allerdings auch nicht, dass man immer verzeihen müsse. Wie oft habe ich über Dinge hinweg gesehen, die mich eigentlich sehr verletzt haben und sich im Nachhinein nur als der Anfang vom Übel erwiesen? Wie oft wurde es ausgenutzt, dass ich verzeihen würde?

Sich mit jedem gut stellen zu wollen, indem man Gnade zeigt, halte ich für romantisierten Scheiß. Es wird einem niemals gedankt werden, man erhält keinen Orden, keinen Beifall, keine besondere Erwähnung im Klappentext eines Buches. Vor allem aber erhält man dadurch kein gutes Gefühl und keinen Respekt. Es macht angreifbar und in manchen Fällen kann man gar seine Integrität verlieren.

Denn Integrität ist auch das: nein sagen. Nicht verzeihen. Aber in den richtigen Momenten eben doch. Und genau das lerne ich für mich gerade zu unterscheiden.

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4 Kommentare zu „Verzeihen

  1. Ein toller Beitrag!

    Ja ja… der Islam erzählt viel, wenn der Tach lang iss. (Andere Religionen ja auch) Aber daran halten tun sich nur die wenigsten. Und dieses „die Religion schraibt dieses und jenes vor“ bla bla… das nervt mich auch total, denn um ein Mensch zu sein und gute Werte zu haben, dafür braucht es keine Religion. Wenn ich ein guter Mensch bin, z.B. nicht töte, nicht stehle, nicht betrüge, etc. , dann mache ich es nicht, weil die Religion es mir vorschreibt und ich aus Angst vor Gott, und aus vor dem Schmoren in der Hölle habe, sondern weil es mein gesunder Menschenverstand, mein Charakter und meine Erziehung, und mein Gewissen es nicht zulassen, sonst müssten ja alle Ateisten Unmenschen, Diebe und Serienkiller sein!
    Als wenn man automatisch ein schlechter Mensch sein würde, wenn man keine Religion hat und nicht an irgendeinen Gott glaubt. Mann mann mann…

    Nein, ich kann und will auch nicht manchen Menschen verzeihen. Weil sie meine Vergebung einfach nicht verdienen (besonders die, die ihre 2. Chance hatten…oder 3…)

    Und irgendein großer Denker soll mal gesagt haben (ich meine es war Francis Bacon) „Vergeben und vergessen ist die Rache kluger Menschen“

    Was für’n Blödsinn… sorry. Bei manchen möchte ich weder verzeihen noch mich rächen.

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    1. Danke. 🙂

      Ja, deine Ansicht über religiöse Gesetze teile ich. Ich sage immer: Nur weil jemand sonntags in die Kirche rennt, ist er noch lange lange kein guter Mensch. Gibt genug Leute, die ihren Hass hinter Religion verbergen. Man denke nur an die ach so christlichen Homosexuellenhasser. Völlig gaga.

      Weder verzeihen noch Rache üben: kenne ich gut. Manche Menschen möchte man dann auch einfach aus seinem Leben raus haben. Irgendwann reicht es einfach.
      Und die Sache mit dem Vergessen ist schon wieder eine eigene…

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  2. Ich würde diesen wichtigen und guten Gedanken gerne noch einige Aspekte hinzufügen.

    Für mich ist es beispielsweise ein Unterschied, zu verzeihen/vergeben oder zu versöhnen.

    Vergeben kann man auch aus der Entfernung. Für mich bedeutet das, dass ich zwar keine Beziehung mehr zu diesem Menschen haben will, aber dass ich ihm, so denn der Fall eintreten sollte, durchaus helfen würde, wenn es notwändig ist.

    Verzeihen aus der Entfernung ist für die eigenen Seelenhygiene insofern wichtig, dass man keine Rachegedanken o.ä. mehr hegen will. Ob das klappt, ist immer noch ein zweites Paar Schuhe, stelle ich fest. Verzeihen scheint mir jedoch der erste Schritt zu sein.

    Versöhnen ist für mich ein aktiver Prozess, der beide Seiten einbezieht. Dazu gehört für mich Einsicht, der Wille, den anderen zu verstehen, sich gegenseitig zuzuhören, aus der Situation zu lernen, und der Wunsch, die Beziehung in Zukunft glücklich zu gestalten.

    Außerdem finde ich die innere Haltung des Vergebenden/Verzeihenden enorm wichtig. Bei Kindern macht man das ja gerne: So, jetzt gebt ihr euch die Hand, und alles ist wieder gut.
    Das ist natürlich Quark.

    Wenn man vergibt aus einer inneren Haltung der Schwäche, beispielsweise, wenn man die Beziehung um jeden Preis erhalten will oder aufgrund äußerer oder innerer (beispielsweise religiöser Art oder weil die Familienkultur es so erforderte) Stimmen, die einen „zwingen“, dann ist es nicht wirklich hilfreich.

    Wenn die innere Haltung aber eine starke ist, ist eine Vergebung durchaus kraftvoll, sie kann aus eigener Entscheidung stattfinden, freiwillig, ohne dass man Interessen verfolgt.

    Vergeben kann man meiner Ansicht nach auch nicht damit gleichsetzen, sich dem anderen wieder so auszusetzen, als wäre nichts geschehen.

    Wie du schon geschrieben hast, jeder ist für sein eigenes Wohl selbst verantwortlich. Ich kann also durchaus verzeihen, aber Vorsichtsmaßnahmen für die Zukunft treffen, beispielsweise gemachten Versprechen durchaus misstrauisch gegenüberstehen, wenn ich enttäuscht wurde.

    Dazu gehört eine gute Selbsteinschätzung (was kann ich ertragen, womit kann ich mich arrangieren und womit eben nicht?) und Einschätzung des anderen (ist es sein Charakterzug, der sie/ihn unzuverlässig sein lässt, egoistisch, prahlerisch und so weiter? Dann nehme ich das Gegenüber von Anfang an nicht „so ernst“, wie ich es eigentlich gerne täte).

    So genug für einen Sonntag morgen. Ich mache mich jetzt auf den Weg. In meine religiöse Institution. 😉

    Liebste Grüße,

    Mara

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    1. Wow, vielen lieben Dank für deine Gedanken dazu! Ist ja fast schon ein eigener Post, hihi.

      DIese Unterscheidung scheint mir durchaus sinnvoll. Und natürlich kommt es immer auf die Situation, das Gegenüber und die allgemeine Lage an. Ich würde auch nicht so weit gehen zu sagen, ich würde wenig verzeihen. Das Gegenteil ist der Fall. Mir ging es auch mehr um diesen Zwang, dieses Verzeihen-Müssen. Dein Beispiel, wie man es bei Kindern macht -wie ich es selbst genau so tausendmal erlebt habe- lässt mich gerade wirklich grübeln. Wie oft hat man wohl schon verziehen, ohne es zu meinen? Weil man Angst hatte, man würde durch Dritte gestraft, wenn man es nicht tut? Und diese Dritten können alle möglichen sein: Familie, Freundeskreis, Arbeitsbeziehungen, die Dorfgemeinde, enge und weite Gesellschaft…

      Ansonsten möchte ich deinen Kommentar genau so stehen lassen, wie er ist, ohne etwas davon zu diskutieren. Ich finde, deine Gedanken dazu sind sehr ausgereift und ich kann ihnen nur zustimmen.

      Danke! Und einen schönen Sonntag. 🙂

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